white moon gallery

 

Michail Schnittmann hat an der Kunsthochschule Odessa (Ukraine) und an der Kunstakademie Tiflis (Georgien) eine ausgezeichnete Ausbildung erhalten. In den zurückliegenden dreißig Jahren hat er sich ein variantenreiches Spiel auf der Tastatur des malerischen Formenrepertoires erarbeitet.

Michail Schnittmann ist ein gestandener, erfahrener Künstler, der längst seine Handschrift, seinen Stil, seine Themen gefunden hat. Was an seinem Werk und seinem Arbeiten besonders beeindruckt und fasziniert ist, das er dabei nicht starr oder fest wird, dass es – scheinbar plötzlich – ganz andere Farben, einen veränderten Malduktus, neue Themen gibt.
Michail Schnittmann ist ein feiner, wacher Beobachter; kein Voyeur, vielmehr ein Schauender, der aus Momentaufnahmen, aus scheinbar Zufälligem, Unbedeutendem Bilder formt.
Wir sehen dank der Arbeit des Künstlers, dank seiner Wachheit etwas, was wir so wohl nie sehen würden, was unbeachtet bliebe. Und da wir nur zufällige Zeugen, Vorbeigehende sind, können wir die in den Bildern Gezeigten nicht stören. Sie sind natürlich, harmonisch, stolz. Das Offene, Natürliche entsteht dank der besonderen Malweise, die Michail Schnittmann praktiziert. Manche seiner Bilder erscheinen im unmittelbaren Sinne wie verwischt.
Die aufgetragenen Farbschichten werden behutsam und doch energisch wieder hinweggestrichen. Da dies in der Horizontale geschieht, von rechts nach links, seltener auch von links nach rechts, entsteht eine erstaunliche Bewegung. Fahren, laufen wir an den Dargestellten vorbei? Sind diese unterwegs, in Bewegung? Wir wissen es nicht genau. Aber wir sehen, dass nichts statisch ist. Nur der Künstler kann in seinen Bildern festbannen, was im nächsten Moment sich schon verändert hat und Vergangenheit ist.

Auf andere Weise, und doch ähnlich in der Offenheit, Dynamisierung, wirken die jüngsten Arbeiten, die „Tauben“, die Unterwegs-Bilder. Sie erscheinen ganz anmutig und leichthändig nicht nur in den Motiven, auch in der Malweise. An die Stelle einer eher erdigen, von Rot- und Brauntönen dominierten Malerei, an die Stelle des Auf- und wieder Abgetragenen tritt eine leichte, von Blautönen getragene Malerei. In dem Lichtdurchfluteten, dem Nebeneinander der Farbtupfer ist ein Hauch von Impressionismus spürbar. Das Dynamische, Offene aber wird erreicht durch die Bildanschnitte, die geneigten Linien des S-Bahn-Abteils, das unvermutete Fastheraustreten einzelner Personen aus dem Bild, so bei den „Tauben“.
Der Mensch ist bei Michail Schnittmann – egal ob Zeitgenosse, prophetische Gestalt oder historische Persönlichkeit – stets Verkörperung von etwas Bedeutsamem, Wichtigem. Er ist ein Sinnbild für Haltungen.

In einem Zeitraum von fünf Jahren, zwischen 2004 und 2008 entstanden, sind die Arbeiten unterschiedlich in Farbigkeit und Duktus, das Malerische hat zugenommen, die Nuancen sind vielfältiger, feuriger. Gemeinsam ist den Arbeiten das nur punktuelle Herausarbeiten der Körper, die formgebende Linearität, der kraftvolle Farbauftrag. Die Bilder sind – Delacroix sei zitiert – „Dem Auge ein Fest“.

Michail Schnittmanns Werke können gegenständlich, figurativ, aber sie können auch abstrakt sein. Aus der Fülle des Formenrepertoires zu schöpfen, ist ein Grundprinzip der künstlerischen Freiheit von Michail Schnittmann. Deshalb lässt sich sein ästhetischer Ansatz als ein postmoderner bestimmen, der ihm verschiedene und sogar widersprüchliche Arbeitsweisen anbietet. Die Stillfrage offenbart sich damit für Schnittmann als ein Mittel zum Zweck, aber nicht als eine Definition seines künstlerischen Schaffens.

Seine Werke stellen Fragen und führen in die Gedankenwelt und in die Überlegungen des Künstlers hinein. Einfache Antworten präsentieren sie jedoch nicht. Deshalb schaut aus manchem Bild ein hintergründig, kritisch prüfender Blick als Selbstbildnis des Künstlers heraus. Es führt optisch in das Werk hinein und eröffnet einen mentalen Reflexionsraum, der erlesen werden muss. So setzt sich die Bilddidaktik des Künstlers von der Schnelllebigkeit des öffentlichen Themen- und Bilderhagels sehr prägnant ab.

Michail Schnittmann legt seine Werke vielmehr als konzeptionelle Experimente an, die sich vielfach einem Montageprinzip verdanken. So wird Widersprüchliches miteinander kombiniert und in einen Zusammenhang gebracht. Aber auch die vielen Geschichten inne wohnenden Brüche, sind dem Künstler ein steter Anreiz für seine Werke.

Obwohl die konzeptionelle Ästhetik Schnittmanns einen rationalen Zugriff zur bildenden Kunst erwarten lässt, spielt der Zufall in seinem Schaffen eine große Rolle. Oftmals sind es kurze Momente, visuelle Erlebnisse, die ein Thema inspirieren und den künstlerischen Arbeitsprozess auslösen können. Auch gewöhnliche Pressefotografien geben Anstöße für ein neues Werk. Dann gilt es, den in der Bildassoziation verborgenen Kern herauszufiltern. So bewahrt sich Michail Schnittmann in seinem künstlerischen Schaffen eine grundsätzliche Offenheit, die selbst im Farbgemisch der Palette ein Bild entdecken kann. Und darin hat er eines seiner Gestaltungsprinzipien entdeckt: Seine Palette ist häufig eine Leinwand, seine Palette wird zum Bild, und in seinen Bildern vermischen sich Eindrücke, Fragen und optische Assoziationen.

Dem Maler ist es wichtig, einzelne Formen zu verdeutlichen, sie aber teilweise im Verborgenen zu lassen, damit sie sich erst im Kopf des Betrachters vollenden.

Der Arbeitsprozess bei Schnittmann ist komplex und unterschiedlich in der Ausführung. Insgesamt ergibt sich ein skizzenhafter Eindruck, wo nichts in eine endgültige Form gepresst wird. Hier entwickelt sich alles aus dem Moment, der einzigartig und unwiederholbar ist oder mit anderen Worten: Die Bilder machen den Prozess der schöpferischen Inspiration nachvollziehbar.
Alles ist im Werden oder im Übergang, um sich erst in der Wahrnehmung des Betrachters zu vollenden.